Die Entscheidung, welche Tiere von einem antibiotischen Trockenstellen profitieren und welche nicht, ist arbeits- und zeitintensiv. Eine Vielzahl an Eutergesundheitsdaten können zur Bewertung herangezogen werden und die Entscheidung kann teilweise sehr komplex werden. Um den Prozess zu erleichtern, wurde im Projekt IQexpert eine digitale Anwendung entwickelt, die automatisiert betriebsindividuell Eutergesundheitsdaten ausgewertet und Handlungsempfehlungen zur Behandlung der Kühe beim Trockenstellen gibt. Die Anwendung basiert auf einem sogenannten „Expertensystem“, welches die relevanten Daten zusammenführt und nach einem dynamischen Entscheidungsbaum auf Einzeltierebene auswertet. So sollen Sie und Ihr Hoftierarzt / Ihre Hoftierärztin bestmöglich in der Entscheidungsfindung unterstützt werden.
Mittels dieser Grafik haben Sie die Möglichkeit den Entscheidungsbaum zum selektiven Trockenstellen, der von der LMU München entwickelt wurde, im Detail anzusehen.

Ist selektives Trockenstellen in jedem Betrieb umsetzbar?
Grundsätzlich ja, um das Verfahren jedoch erfolgreich und ressourcenschonend (möglichst geringer Arbeits- und Zeitaufwand sowie kostensparend) zu etablieren, sollten folgende betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sein:
- Teilnahme an der MLP seit mindestens drei Monaten, um den Eutergesundheitsstatus zu kennen
- Dokumentation von klinischen Mastitiden während der Laktation und digitale Übernahme im RDV-Herdenmanager
Somit wird eine automatisierte Einbindung relevanter Daten ermöglicht und die Anwendung im Alltag erleichtert.
Wie geht es weiter?
Eignet sich die Herde zum selektiven Trockenstellen, wird jede trockenzustellende Kuh individuell nach einem einheitlichen Schema bewertet. Hierfür werden Risikofaktoren, die einen Einfluss auf die Eutergesundheit während der Trockenstehperiode nehmen, unter die Lupe genommen. Dank der automatisierten Zusammenführung und Auswertung der Daten mit IQexpert, können eine Vielzahl dieser Faktoren differenziert und ohne Mehraufwand für Sie als Landwirt / Landwirtin abgefragt und bewertet werden. Hierbei werden folgende Kriterien betrachtet:
Mastitishistorie in der vorangegangenen Laktation:
Hatte das Tier in der letzten Laktation mind. eine Mastitis, kann dennoch ohne Antibiotika trockengestellt werden, wenn:
1. Die klinische Mastitis vor dem 90. Laktationstag war und
2. Der Zellgehalt zum Trockenstellen konstant unter 100.000 Zellen/ml in den letzten drei MLPs liegt und
3. Eine Euterinfektion mittels mikrobiologisch untersuchter Viertelanfangsgemelksproben ausgeschlossen werden kann.
Zellzahlverlauf der letzten drei MLP Messungen:
Die Zellzahl ist ein Indikator für das Immungeschehen im Euter und kann Hinweise auf eine Eutererkrankung geben. So deutet eine gesteigerte Zellzahl auf eine Immunreaktion hin, die häufig durch eingedrungene euter-pathogene Erreger hin ausgelöst wurde. Im Entscheidungsbaum werden daher erhöhte Zellzahlen mit über 200.000 Zellen/ml als Hinweis dafür gewertet, dass das Tier euterkrank ist und von einer antibiotischen Behandlung zum Trockenstellen profitieren kann.
Im Gegensatz deuten geringe Zellzahlwerte auf ein „eutergesundes“ Tier hin. Der Grenzwert liegt in Deutschland in der Regel bei 100.000 Zellen/ml. Bei IQexpert passt sich der Wert allerdings an die aktuelle Herdeneutergesundheit an. Das führt dazu, dass Veränderungen hinsichtlich der Eutergesundheit frühzeitig wahrgenommen und gezielt Maßnahmen zur Verbesserung durchgeführt werden können.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die letzten drei MLP-Messungen vor dem Trockenstellen die größte Sicherheit zur Erkennung euterkranker bzw. eutergesunder Kühe aufweisen.
MLP-Herdenzellzahl als Hinweis auf die aktuelle Herdeneutergesundheit:
Die MLP-Herdenzellzahl (= durchschnittliche mit der individuellen Milchmenge gewichtete Zellzahl je ml aller in einer MLP beprobten Kühe) dient als Indikator für die Häufigkeit von subklinischen Mastitiden innerhalb der Herde. Ist der Wert erhöht (über 200.000 Zellen/ml in mindestens einer der letzten drei MLP Messungen), scheinen mehr Kühe an subklinischen Mastitiden erkrankt zu sein. Um frühzeitig geeignete Maßnahmen einleiten zu können, ist es wichtig den aktuellen Leitkeim der Herde zu kennen. Eine gängige Methode sind mehr mikrobiologische Untersuchungen von Milchproben auf Einzeltierebene. Werden vor allem Tiere beprobt, die demnächst trockengestellt werden, kann nebenbei erregerspezifisch und abhängig vom Resistenztest, trockengestellt werden. Damit bei einer Erhöhung der Herdenzellzahl aus der MLP automatisch mehr Milchproben untersucht werden, werden die Grenzwerte zur mikrobiologischen Untersuchung von Viertelanfangsgemelksproben innerhalb von IQexpert dynamisch jenen der Herdenzellzahl aus der MLP angepasst.
Ergebnisse aus mikrobiologisch untersuchten Viertelanfangsgemelksproben:
Befinden sich Kühe aufgrund bereits vorliegender Daten (z.B. aus der MLP oder dokumentierter Mastitiden) im grenzwertigen Bereich, in dem sie nicht eindeutig als „eutergesund“ oder „euterkrank“ bestimmt werden können, wird weitere Diagnostik benötigt, um Aufschluss über mögliche Infektionen im Euter zu gewinnen. Bei solchen Tieren sollte eine Viertelanfangsgemelksprobe entnommen werden. Das bietet den Vorteil, dass potenzielle Erreger genau bestimmt werden. Es hat sich herausgestellt, dass bestimmte Erreger, die sogenannten „minor Pathogene“ (Corynebacterium bovis, KNS) gerade während der Trockenstehperiode hohe Selbstheilungsraten aufweisen und auch während der Laktation selten schwere klinische Mastitiden hervorrufen.
Ergebnisse des California-Mastitis-Tests (= CMT = Schalmtest) unmittelbar vor dem Trockenstellen:
Der Schalmtest liefert schnell und kostengünstig Informationen über den Zellgehalt auf Viertelebene. Dies bietet vor allem bei länger zurückliegenden Zellzahlergebnissen aus der MLP die Möglichkeit die Eutergesundheit der Tiere direkt vor dem Trockenstellen nochmal zu überprüfen. Gerade bei Kühen, deren Eutergesundheit bis zum Zeitpunkt des Trockenstellens unauffällig ist und folglich ohne antibiotische Trockensteller trockengestellt werden sollen, ist eine letzte Absicherung mittels des Schalmtests wertvoll. Ist der Schalmtest von diesem Tier unauffällig, kann auf den antibiotischen Trockensteller verzichtet werden. Falls Sie nachlesen möchten, wie ein Schalmtest auszuwerten ist, klicken Sie bitte hier.
Warum sind interne Zitzenversiegler so wichtig?
Durch interne Zitzenversiegler werden Euterviertel effektiv vor einer Neuinfektion während der Trockenstehzeit geschützt. Es handelt sich um Eutertuben, die keinen antibiotischen Wirkstoff enthalten, nur in den Strichkanal eingebracht werden und den natürlichen Keratinpfropf imitieren. Insbesondere Kühe, die zum Trockenstellen eine hohe Milchleistung haben, bilden den Kreatinpfropf zeitlich verzögert oder gar nicht aus und infizieren sich in der Folge während der Trockenstehzeit häufiger mit umweltassoziierten Mastitiserregern. Untersuchen konnten zeigen, dass bei Kühen, die auf Grundlage ihrer Eutergesundheitsdaten als eutergesund eingestuft und ohne Antibiotika trockengestellt wurden, mit einem Zitzenversiegler drei von vier Neuinfektionen verhindert wurden.

Des Weiteren hat sich gezeigt, dass bei Anwendung von internen Zitzenversieglern in Kombination mit antibiotischen Trockenstellern die Heilungsrate während der Trockenstehzeit nochmals erhöht werden kann, verglichen mit dem alleinigen Einsatz von antibiotischen Trockenstellern.
Somit profitieren alle Kühe von der Anwendung von internen Zitzenversieglern. Allerdings ist für einen erfolgreichen Einsatz absolute Hygiene und korrekte Einbringung des Präparats erforderlich. Falls Sie hierzu mehr erfahren möchten, klicken Sie bitte hier.
IQexpert im eigenen Betrieb einsetzen
Das IQexpert Expertensystem wird von folgendem LKV bereitgestellt:

LKV Bayern:
Die digitale Entscheidungshilfe zum selektiven Trockenstellen kann in den LKV-Anwendungen des LKV Bayern e.V. abgerufen werden.Informationen zur Teilnahme und Anwendung finden Sie im Modul ProGesund unter „Trockenstellen“ oder kontaktieren Sie Ihre MLP-Fachabteilung des LKV Bayern e.V.
Eine Übersicht und Hilfe zur digitalen Entscheidungshilfe zum selektives Trockenstellen im LKV Herdenmanager finden sie hier.
Der LKV Bayern bietet Online Schulungen zur Anwendung des Entscheidungsbaumes an. Die nächsten Termin und die Anmeldung im LKV Portal sind unter „Aktuelles“ auf der LKV Bayern Homepage zu finden.
Die digitale Entscheidungshilfe zum selektiven Trockenstellen folgt demnächst bei weiteren LKVs.